Wer Raupen mit Stachel begegnet, hat sofort Bedenken oder sogar Angst. Schließlich verheißt die Waffe auf dem Rücken nichts Gutes. Tatsächlich handelt es sich aber gar nicht um einen gefährlichen Stachel, sondern um ein Analhorn und damit um einen faszinierenden natürlichen Schutz vor Feinden. Doch das ist nicht das einzig Spannende an den jungen Schwärmern.
Raupen mit Stachel sind gar nicht so selten
Raupen mit einem Stachel am Körperende unterscheiden sich in der Farbe und Musterung, der Größe und der Dauer bis zur Verpuppung. Sie alle gehören jedoch den Schwärmern an. Sie können erstaunliche Flügelspannweiten erreichen und sind für den Menschen vollkommen ungefährlich.

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Bereits als Raupen weisen sie eine interessante Optik auf. Während der Labkrautschwärmer und der Wolfsmilchschwärmer durch Punkte auffallen, tritt der Totenkopfschwärmer mit leuchtenden Farben von Gelb bis Türkis und einer V-Zeichnung auf und wirkt dadurch fast wie von einer anderen Welt. Im Wald, auf Feld und Flur genau hinzusehen, lohnt sich also. Denn die kleinen Tiere bieten eine interessante Optik. Allein in Mitteleuropa finden sich über 200 Raupenarten, deren Hinterteil mit einem Stachel bewährt ist. Weltweit sind es sogar über 1.200 Schwärmer-Arten, die in ihren frühen Entwicklungsstadien ein Analhorn aufweisen.
Schon gewusst?: Obwohl es mehr als 1.200 Raupenarten mit Stacheln in den unterschiedlichsten Farben, Größen und Formen gibt, tragen alle Raupen ihren Stachel am 8.Abdominalsegment.
12 heimische Raupenarten mit Stachel
Die zwölf häufigsten, heimischen Raupen mit Stachel sind an verschiedene Futterquellen und Lebensräume angepasst. Wer alle beobachten möchte, muss daher etwas reisen und sich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort aufhalten. Denn die Raupen sind jedes Jahr nur für wenige Wochen aktiv, bevor sie den letzten Schritt ihrer Entwicklung antreten und sich mit einem Kokon schützen.
Die heimischen und doch teils exotischen Raupenarten mit Analhorn sind:
- Abendpfauenauge (Smerinthus ocellata)
- Hummelschwärmer (Hemaris fuciformis)
- Kiefernschwärmer (Sphinx pinastri)
- Labkrautschwärmer (Hyles gallii)
- Ligusterschwärmer (Sphinx ligustri)
- Lindenschwärmer (Mimas tiliae)
- Mittlerer Weinschwärmer (Deilephila elpenor)
- Pappelschwärmer (Laothoe populi)
- Skabiosenschwärmer (Hemaris tityus)
- Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum)
- Totenkopfschwärmer (Acherontia atropos)
- Wolfsmilchschwärmer (Hyles euphorbiae)

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Welche Funktion hat der Stachel?
Bei dem vermeintlichen Stachel handelt es sich um apomorphe Bildung, also um eine vererbte Neubildung. Die Raupen können mit ihm nicht stechen. Es wird davon ausgegangen, dass das Analhorn Fressfeinde auf Sicht abschreckt und dadurch einen Vorteil für das Überleben mit sich bringt. Nicht nur Menschen denken bei dem Anblick also an eine Gefahr und halten sich lieber fern.
Schon gewusst?: Viele Raupen haben ein Analhorn, das jedoch nicht an einen Stachel, sondern an einen Höcker erinnert. Anders als viele behaupten, handelt es sich dabei aber nicht um eine Rückbildung, sondern lediglich um eine andere genetische Form und Veranlagung der Neubildung.
Am Raupenstachel das Alter ablesen? Das geht!
„Die kleine Raupe Nimmersatt“ ist ein Kinderbuch von Eric Carle, das Kindern unter anderem die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung näherbringen soll. Denn die Raupe Nimmersatt beginnt winzig und isst sich gewissermaßen durch die ganze Woche, um groß und stark zu werden.
Das ist nicht etwa der Fantasie entsprungen, sondern entspricht dem Verhalten der Raupen – mit und ohne Stachel. Da sie nur wenige Wochen im Raupenstadium verbringen, müssen sie schnell ausreichend Energie und Masse für den letzten Schritt der Entwicklung aufbauen. Das Spinnen des Kokons, die Metamorphose in der Schutzhülle und das Entkommen aus dem Kokon als Falter sind kräftezehrend. Hierdurch können bereits wenige Raupen in kurzer Zeit erhebliche Fraßspuren an Pflanzen hinterlassen, während die Tiere selbst rasant wachsen.

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Der Stachel hält mit dem Körperwachstum allerdings nicht mit. Daher ist das Verhältnis zwischen Stachellänge und Körpergröße am stärksten bei sehr jungen Raupen ausgeprägt. Je älter und größer die Schwärmer-Raupen werden, desto kleiner wirkt der Stachel im Vergleich. Dadurch eignet sich das Analhorn für die Schätzung des Alters.
Was ist der Unterschied zwischen Stachel, Dornen und Haaren?
Raupen mit einem Stachel weisen nur ein Analhorn auf, das auf der Oberseite des 8. Abdominalsegments mittig hervorsteht. Es kann gerade oder gebogen verlaufen. Bei der Farbe finden sich Exemplare, die vollständig die gleiche Tönung aufweisen. Bei anderen sticht das Analhorn durch eine Kontrastfarbe oder Färbung hervor. Gefährlich für den Menschen sind keine der Raupen.
Raupen mit Dornen, die über den Körper verteilt sind, nutzen ebenfalls die Strategie, Fraßfeinde durch ihre Optik abzuschrecken und sich damit zu schützen. Für den Menschen stellen sie kein Risiko dar. Bei Raupen mit Haaren ist hingegen Vorsicht geboten, denn es kann sich um den Eichenprozessionsspinner handeln, der für Menschen und andere Tiere eine Bedrohung für die Gesundheit darstellt.
Sind Raupen mit Stachel giftig?
Für den Menschen nicht. Zudem sind die meisten Raupen mit Stachel auch für Fressfeinde wie Igel, Vögel und Spitzmäuse ungefährlich. Einzig der Wolfsmilchschwärmer ist für seine Fraßfeinde giftig. Da er sich fast ausschließlich von Wolfsmilchgewächsen ernährt, nimmt er giftige Substanzen auf. Wird er gefressen, vergiftet er allein durch seinen Mageninhalt das Tier, das ihn gefressen hat.

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Vorsicht vor Raupen mit Haaren!
Raupen mit Haaren oder Borsten sehen auf den ersten Blick ungefährlich aus. Sie erinnern an Flaschenbürsten und weisen oftmals unscheinbare Färbungen auf. Dennoch sind sie für Menschen und andere Tiere eine erhebliche Gefahr, die für kleinere Haustiere oder allergische Menschen sogar lebensbedrohlich werden kann. Denn die Borsten sind Brennhaare, die Reizreaktionen auslösen und die Raupendermatitis hervorrufen.
Ein spannender Schritt der Evolution
Der Stachel oder korrekter das Analhorn der Raupen dient keinem anderen Zweck, als Fressfeinde allein durch seine Optik abzuschrecken. Dadurch lässt sich an ihm wunderbar beobachten, wie Evolution funktioniert. Denn der „Stachel“ konnte sich nur dann in ganzen Populationen durchsetzen, wenn er den Tieren einen entscheidenden Vorteil bringt. Die Vielfalt der Formen, Größen und Farben lädt zum Beobachten und zum Studieren der kleinen Schwärmer ein.
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